Nachtigall, ick hör dir trapsen…

Diese Berliner Redensart, 1878 erstmals publiziert und vermutlich aus einer Volksliedersammlung entstanden, bedeutet nichts anderes, als dass sich in Bezug auf einen bestimmten Sachverhalt erahnen lässt, wohin eine Sache führt. Frei nach dem Motto: „Ich rieche den Braten schon“ oder „Ich ahne, dass da was nicht stimmt“.

Die Coronakrise hat über Wochen nicht nur das öffentliche Leben zum Erliegen gebracht, sondern auch die Handlungsfähigkeit der Berliner Verwaltung spürbar eingeschränkt. Anders ist es nicht zu erklären, dass in der Schießstandaffäre der Berliner Polizei, die nach Ansicht der betroffenen Dienstkräfte längst nicht ausgestanden ist, der See gespenstisch still ruht (mehr dazu finden Sie hier).

Nach den Vergiftungen der Beamtinnen und Beamten durch bei der Schussabgabe freigesetzte Schadstoffe auf veralteten Schießständen sind die Diskussionen und Verfahren um die strafrechtliche Aufarbeitung, die Anerkennung von Dienstunfällen und die Korrekturen eines fehlerhaft umgesetzten Ausgleichsfonds noch nicht abgeschlossen, doch schon scheint es ein neues Thema zu geben, bei dem Verletzungen des Arbeitsschutzes und der Fürsorgeverpflichtungen des Arbeitgebers möglicherweise eine Rolle spielen. iesmal geht es um die Verwendung PAK-haltiger Parkettkleber, die nachgewiesenermaßen in einigen, vermutlich sogar in der Mehrzahl der Gebäude in den Unterkünften der Berliner Polizei und Feuerwehr in der Ruppiner Chaussee in Reinickendorf verwendet wurden. Dort sind unter anderem Einheiten der Bereitschaftspolizei, der Hundestaffel und die Berliner Feuerwehr – und Rettungsakademie untergebracht.

PAK-Stoffe (Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe) entstehen bei der unvollständigen Verbrennung von organischem Material wie Holz, Kohle oder Öl. Zudem ist diese Stoffgruppe ein natürlicher Bestandteil der fossilen Rohstoffe Kohle und Erdöl. Durch Veredlungsverfahren, wie der Verkokung von Kohle oder der Raffination von Erdöl durch Kracken, entstehen Produkte wie Koks, Teer, Benzine, Wachse oder Öle. Die dabei entstehenden Schlacken werden als Baustoff verwendet und finden sich unter anderem in teerhaltigen Parkettklebern, wie sie zum Beispiel in oben genannten Liegenschaften der Polizei und Feuerwehr verwendet wurden. Für Mensch und Umweltorganismen sind PAK eine besorgniserregende Stoffgruppe. Viele PAK haben krebserregende, erbgutverändernde und/oder fort-pflanzungsgefährdende Eigenschaften, wie das Umweltbundesamt erklärt (mehr dazu finden Sie hier).

Einige PAK sind giftig, verbleiben sehr lange in der Umwelt und werden dort kaum abgebaut. Sie besitzen zudem die Eigenschaft, sich im menschlichen Körper anzureichern.

PAK gelangen durch Einatmen belasteter Luft, Aufnahme mit Nahrungsmitteln oder bei längerer Berührung mit der Haut in den Organismus.

In den Räumen der Polizei wurden die gefährlichen Stoffe im März 2018 entdeckt, als Mitarbeiter über Geruchsbelästigungen klagten, berichtet die Berliner Morgenpost.

Durchgeführte Raumluftmessungen förderten keine besonderen Belastungen zu Tage. Die Ergebnisse wurden als unbedenklich eingestuft. Am 18.02.2019 erfolgte eine weitere Messung, bei der zwar geringe Richtwertüberschreitungen (Richtwerte des Ausschusses für Inneraumrichtwerte „AIR“) festgestellt wurden, die Konzentration der Stoffe nach gegenwärtigem Kenntnisstand auch bei lebenslanger Exposition jedoch keine Beeinträchtigung befürchten lässt, sondern „nur“ eine unerwünschte Belastung darstellt.

Im Rahmen von Informationsveranstaltungen durch Mitarbeiter des behördlichen Arbeitsschutzes wurden häufiges Lüften nach einem festgeschriebenen Luftungsplan, eine Verbesserung der Reinigung und zu einem späteren Zeitpunkt eine fach- und sachgerechte Reparatur bzw. die Sanierung des Parketts angeraten. Schwangere oder stillende und krebserkrankte Bedienstete oder solche mit einer Immunschwäche sollen in den Räumen nicht mehr eingesetzt werden.

Besonders interessant: Messungen erfolgten nach unseren Erkenntnissen bislang nur in einem einzigen von vielen möglicherweise belasteten Räumen, so dass weitaus höhere Schadstoffmesswerte in anderen Gebäuden der Unkunft nicht ausgeschlossen werden können!Laut einer Mitarbeiterinformation zum Thema PAK-haltiger Parkettkleber vom 09.04.2020 werden derzeit mit dem zuständigen Vermieter, dem Berliner Immobilien Management (BIM), Sanierungskonzepte erarbeitet. Aufgrund der Tatsache, dass es sich um einen denkmalgeschützten Parkettboden handelt, ist mit intensiven Abstimmungen mit der Denkmalpflege zu rechnen.

Es sollen zeitnah Begehungen mit Schadstoffgutachtern und weitere Raumluftmessungen in einzelnen Räumen stattfinden.
Mitarbeiterinformation
PAK 2.pdf (5.41MB)

 

Der Vermieter der Unterkünfte am Platz der Luftbrücke, wo vergleichbare Belastungen durch PAK-Stoffe festgestellt werden konnten, erarbeitet ebenfalls bereits ein umfangreiches Sanierungskonzept. Die Sanierungen dort sollen 2026 beginnen und mehrere Jahre dauern!

Betrachtet man sich das Szenario als Außenstehender, denn das ist unser Verein trotz seiner vielen Mitglieder aus den Reihen der Berliner Polizei, so lassen sich viele bedauerliche Paralellen zur bereits erwähnten Schießstandaffäre erkennen.

So geht es auch dem innenpoilitischen Sprecher der Grünen, Benedikt Lux, der in der Berliner Morgenpost mit den Worten zitiert wird: „Wir haben beim Umgang mit den Schießständen schlechte Erfahrungen gemacht. Deswegen müssen Polizeiführung und Innenverwaltung hier umso aufmerksamer sein.“

Und der stellvertretende Berliner GdP-Vorsitzende Stephan Kelm erklärt: „Der bisherige Umgang mit der Problematik ist katastrophal, Arbeitsschutz und Fürsorgepflicht werden mit Füßen getreten. Wir reden über krebserregende, erbgutverändernde und toxische Stoffe, die Behördenleitung aber mimt die drei Affen und begeht die gleichen Fehler wie bei den Schießständen.“ Denn auch dort fanden erste Hinweise kaum Beachtung!

Die Probleme wurden verharmlost!

Überprüfungen der Mängel zogen sich in die Länge!

Fürsorge für die Dienstkräfte war nicht erkennbar!

Im Falle der gesundheitsschädlichen Parkettkleber fehlt es an schnellen Entscheidungen, auch schwierige Maßnahmen zügig umzusetzen!

Jeder weitere Tag in den belasteten Räumen kann für die entsprechenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verheerende gesundheitliche Folgen haben!

Die chronische Aufnahme toxischer Substanzen auch in geringen Mengen führt zu einer fortwährenden Beanspruchung und möglicherweise Überlastung des Immunsystems!

In der Folge können sich eine Vielzahl von Erkrankungen herausbilden oder verstärken, was ein funktionierendes, weniger belastetes Immunsystem verhindern würde!

Wie in der Schießstandaffäre dürfte es den betroffenen Dienstkräften zu einem späteren Zeitpunkt schwer fallen, den kausalen Zusammenhang zwischen dem Aufenthalt in PAK-belasteten Räumen und ihren Erkrankungen nachzuweisen, wenn es um die Wahrung dienst- oder zivilrechtlicher Ansprüche geht.

Und letztendlich scheint es, wie bei den sanierungsbedürftigen Schießständen, auch in diesem Fall um die finanziellen Möglichkeiten des Landes Berlin zu gehen. In einer Stellungnahme zu de“Für eine komplette Sanierung der Lüftung sind ähnlich hohe Kosten wie bei der Sanierung der Schießstände in der Charlottenburger Chaussee zu erwarten. (…) Diese (wird) nicht befürwortet.“

Dazu passt eine weitere Aussage des stellvertretenden Berliner GdP-Vorsitzenden Stephan Kelm aus der Berliner Morgenpost:

„Wir erwarten, dass die betroffenen Räume sofort für den Dienstbetrieb geschlossen und umgehend saniert werden. Das ist umständlich und kostet Geld, aber die Gesundheit unserer Kolleginnen und Kollegen sollte es wert sein.“

In der Innenausschusssitzung am 09.12.2019 erklärte Innensenator Geisel seine starke Betroffenheit mit den Opfern der jahrelangen Arbeitsschutzverstöße in den Raumschießanlagen:

„Ich bin persönlich dort betroffen, und ich bin verdammt angefasst, weil es um Kolleginnen und Kollegen geht, die jahrelang Dienst für ihren Arbeitgeber, das Land Berlin, geleistet haben, und die jetzt mit einer ruinierten Gesundheit dastehen…“

Der Innensenator sollte alles in seiner Macht stehende unternehmen, um nicht irgendwann die heute in der Ruppiner Chaussee untergebrachten Kolleginnen und Kollegen mit ähnlichen Worten bedauern zu müssen.

Wir ahnen, dass es beim Umgang mit PAK-belasteten Parkettböden in Diensträumen für die Dienstkräfte nicht optimal läuft.

Oder:

Nachtigall, ick hör dir trapsen…

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