Gefahren für Unbeteiligte?

Die Schießstandaffäre wird von vielen Menschen als Problem der Vergangenheit angesehen!
Verantwortliche Politiker beteuern, für einen angemessenen Ausgleich der erduldeten Belastungen und geltend gemachten Gesundheitsstörungen zu sorgen, und bereits Vieles getan zu haben.
Der Bevölkerung wird durch offizielle Verlautbarungen suggeriert, der Sachverhalt würde umfassend aufgearbeitet werden.
Die Charité hat eine Studie durchgeführt, um die Zusammenhänge zwischen dem Schießtraining und möglichen Erkrankungen zu untersuchen.
Aus einem freiwilligen Fürsorgefond sind die betroffenen Dienstkräfte bereits monetär entschädigt worden.
Anerkannte Arbeitsmediziner prüfen, ob geltend gemachte Gesundheitsstörungen als Dienstunfälle anerkannt werden können.
Und die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt, ob die Gesundheitsbelastungen und Erkrankungen verantwortlichen Behördenleitern oder zuständigen Mitarbeitern in einem strafrechtlichen Ausmaß vorzuwerfen sind.
Viele Polizisten sehen von der Schießstandaffäre vorwiegend Kolleginnen und Kollegen betroffen, die aufgrund ihrer dienstlichen Verwendung überdurchschnittlich häufig die veralteten Schießanlagen genutzt haben. Vor allem auch ältere Dienstkräfte, von denen sich viele bereits im Ruhestand befinden.

Wir widersprechen all diesen Auffassungen nicht. Wir haben regelmäßig darauf hingewiesen, dass in der Tat die notwendigen Grundlagen geschaffen wurden, um einen der größten Polizeiskandale der Stadt Berlin aufzuarbeiten. In vielen Beiträgen haben wir verdeutlicht, wo und warum noch Handlungsbedarf besteht.

Bereits in ersten Gesprächen mit der Senatsverwaltung für Inneres, in persona mit dem Staatssekretär Thorsten Akmann, haben wir darauf hingewiesen, dass die zu geringe Zahl der für die Aus- und Fortbildung zur Verfügung stehenden Schießanlagen einen unmittelbaren Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Beamtinnen und Beamten hat. Jährliche Pflichtübungen konnten nur bei großzügiger Auslegung des dafür zur Verfügung stehenden Zeitraumes absolviert werden. Die Zahl der abgegebenen „scharfen“ Schüsse war auf das absolute Minimum beschränkt. Das „Laserschießen“ wurde deshalb als adäquater Ersatz eingestuft. Viele, gerade jüngere Mitarbeitende äußerten uns gegenüber Zweifel an ihrer Handhabungssicherheit mit der Schusswaffe. Der Abschluss der Ausbildung wichtiger Nachwuchskräfte scheiterte nach Presseberichten daran, dass diese ihr vorgeschriebenes Trainingspensum nicht erreichen konnten.

Viele Länder standen damals unter dem Eindruck wiederholter Anschlagsserien durch islamistische Terrorristen und Regierungen und Experten bewerteten das Risiko weiterer Gewalttaten gegen die Bevölkerung als sehr hoch. Die Polizeien befanden sich überall in erhöhter Alarmbereitschaft – und in Berlin mussten die Dienstkräfte mit dem Umstand leben, im Umgang mit der Schusswaffe kaum ausreichend geübt zu sein!

Die Anschlagsgefahren haben sich inzwischen kaum vermindert. Durch eine Radikalisierung des linken und rechten Spektrums ist mit zunehmenden, auch bewaffneten Gewalttaten zu rechnen.

Hinzu kommt das wachsende Ausmaß täglicher Gewalt gegen Polizisten durch die „Normalbevölkerung“. Von fast 7000 Taten im Jahr 2019 berichtete die Berliner Morgenpost am 12.01.2020. Täglich werden im Schnitt 19 Dienstkräfte Opfer einer Gewalttat.

Die Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP) sieht eine neue Dimension, „was die Schwelle der Gewalt angeht“, hatte GdP-Sprecher Benjamin Jendro nach den Angriffen in der Silvesternacht gesagt.

Und die Berliner Morgenpost schreibt:

„Zunehmend würden auch Schreckschusspistolen gezückt, die nicht von echten Waffen zu unterscheiden seien. Angreifer riskierten schwerste Verletzungen Unbeteiligter und sogar Menschenleben.“

Wir fragen uns:

Riskieren Angreifer schwerste Verletzungen Unbeteiligter und sogar Menschenleben durch den Einsatz ihrer Schreckschusspistolen? Oder ist zu befürchten, dass es polizeiliche Einsatzkräfte mangels eines vernünftigen Schießtrainings im Einsatz an Treffsicherheit vermissen lassen könnten?
Auch vier Jahre nach dem Bekanntwerden der Schießstandaffäre stehen zu wenige Schießstände für das Einsatztraining zur Verfügung. Immerhin sollen noch in diesem Jahr neue Schießbahnen eröffnet werden.

Die Schusszahlen der Nachwuchskräfte im mittleren und gehobenen Polizeivollzugsdienst erscheinen über den gesamten Ausbildungszeitraum als zu gering, um die erforderliche Treffsicherheit zu garantieren. Schießfertigkeit ist eine Trainingssache.

Neben begrenzten Schießstandkapazitäten sind hohe Klassenstärken in der Ausbildung und der Personalmangel an Schießlehrern für die geringen Trainingsumfänge verantwortlich.

Die jungen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten stehen den Dienststellen unmittelbar nach dem Abschluss ihrer Ausbildung als vollwertige Einsatzkräfte zur Verfügung. Neben der wichtigen Einsatzerfahrung fehlt ihnen womöglich die Handhabungssicherheit im Umgang mit den Dienstwaffen. In herausragenden, oben genannten Einsatzsituationen ein erheblicher Risikofaktor!

Auch beim Trainingsumfang für die „altgedienten“ Einsatzkräfte der Polizeiabschnitte und des Zentralen Objektschutzes sollte die Behördenleitung schnellstmöglich nachbessern. Es sind oftmals die Abschnittsbeamtinnen und -beamten, denen in ad hoc-Lagen gesundheits- und vielleicht sogar lebensbedrohliche Gewalt entgegen schlägt.

Ausreichende Fortbildung an den Schusswaffen betreiben nach unseren Informationen derzeit nur die Einsatzhundertschaften und Spezialeinheiten. Sie nutzen die Schießanlagen auch in der Nachtzeit.

Man muss sich fragen, ob alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, um den Mitarbeitenden ein ausreichendes, vor allem aber auch den Ansprüchen tatsächlicher und theoretisch auftretender Einsatzlagen entsprechendes Schießtraining zu ermöglichen.

Einem Schießtraining in simulierten, wechselnden Übungslagen müsste zur Vorbereitung der Dienstkräfte auf anspruchsvolle Einsätze schnellstmöglich wieder eine größere Priorität eingeräumt werden – so jedenfalls hören wir es von Schießtrainern und Trainierenden.

Ist die Schießstandaffäre also ein Problem der Vergangenheit?
Kann von einer abgeschlossenen Aufarbeitung die Rede sein?
Sind Politiker bereits aus ihrer Verantwortung zu entlassen?
Darf die Schießstandaffäre aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwinden?
Sind wirklich nur ältere, zum Teil pensionierte Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte betrofffen?

B.I.S.S. e.V. sagt: Nein!

Die Versäumnisse der Vergangenheit wirken nach. Die daraus resultierenden Konsequenzen sollten wegen möglicher Gefahren für Leib und Leben Unbeteiligter schnellstmöglich auf ein absolutes Minimum reduziert werden. Dies gebietet auch die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Beamtinnen und Beamten. Denn diese haben im Falle eines Schusswaffengebrauchs zum Zwecke der Nothilfe oder Notwehr für ihr Handeln alleine die volle Verantwortung zu übernehmen.

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