„Die Grundlage der Demokratie ist die Volkssouveränität und nicht die Herrschaftsgewalt eines obrigkeitlichen Staates. Nicht der Bürger steht im Gehorsamverhältnis zur Regierung, sondern die Regierung ist dem Bürger im Rahmen der Gesetzte verantwortlich für ihr Handeln. Der Bürger hat das Recht und die Pflicht, die Regierung zur Ordnung zu rufen, wenn er glaubt, das sie demokratische Rechte missachtet.“

Dr. Gustav Walter Heinemann, deutscher Politiker, Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland 1969-1974 Von 1946 bis 1949 war Oberbürgermeister von Essen 1946-1949 und Bundesminister des Innern 1949-1950.

Dieses Zitat haben wir vor einiger Zeit in den sozialen Medien gefunden. Ob es geeignet ist, im Zusammenhang mit der Schießstandaffäre bei der Berliner Polizei verwendet zu werden, darf durchaus differenziert betrachtet werden.
Für viele betroffene Dienstkräfte geht es inzwischen um weit mehr als um eine monetäre Entschädigung und die Anerkennung unterschiedlichster, zum Teil lebensbedrohlicher Erkrankungen als Dienstunfall. Diese Aspekte mögen geeignet sein, sich in der Öffentlichkeit besonders gut darstellen zu lassen.

Leicht vermögen es verantwortliche Politiker so zu kommunizierren, dass alles getan werde, um die Situation schnell und unbürokratisch zu befrieden. Immerhin seien 3,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt worden, um Ausgleichszahlungen für die zurückliegenden Belastungen auf maroden Schießständen und die daraus möglicherweise entstandenen Erkrankungen zu leisten, ohne das ein tatsächlicher kausaler Zusammenhang nachgewiesen werden musste.

Insbesondere die Vertreter der Senatsverwaltung für Inneres werden nicht müde, die Einmaligkeit derartiger Entschädigungsleistungen hervor zu heben. Sie vergessen dabei gerne die Einmaligkeit zurückliegenden Behördenversagens, das diesem Skandal zugrunde liegt und treue, hoch motivierte Staatsbedienstete über Jahrzehnte unter dem politisch verordneten Sparzwang besonderen, vermeidbaren Gesundheitsbelastungen ausgesetzt hat.

Unverholen werden die engagierten Interessenvertreter dafür kritisiert, den guten Willen des Berliner Senats und seiner von ihm eingesetzten, aber unabhängigen Zuarbeiter nicht ausreichend zu würdigen, sondern stattdessen mit großer Beharrlichkeit und zum Teil falschen Informationen die Sinnhaftigkeit des Ausgleichsfonds zu hinterfragen.

Aufmerksame Leser unserer Berichte werden schnell erkennen, dass die Sinnhaftigkeit des Ausgleichsfonds Schießanlagen zu keinem Zeitpunkt hinterfragt, sondern seine Einrichtung vielmehr wiederholt positiv anerkannt wurde. Kritik an seiner praktischen Umsetzung war und ist dagegen angebracht und geboten, stellt doch der dem Ausgleichsfond zugrunde liegende Erlass zum Ausgleichsfond Schießanlagen vom 18.April 2018 unbestreitbar einen Rechtsakt dar, an den auch der erlassende Innensenator und natürlich alle in seinem Auftrag handelnden Personen gebunden sind.

Nach Artikel 20 Grundgesetz sind „…die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung (…) an Gesetz und Recht gebunden.“

Folgt man also dem oben angeführten Zitat, ist es eine Bürgerpflicht, die Regierung zur Ordnung zu rufen, wenn diese demokratische Rechte missachtet. B.I.S.S. e.V. setzt sich als Vertreter der Interessen vieler von der Schießstandaffäre betroffener Dienstkräfte mit rechtlich gebotenen Mitteln konstruktiv und zielführend dafür ein, dass der Ausgleichsfond Schießanlagen korrekt, vor allem aber gerecht im Sinne grundgesetzlich garantierter Gleichbehandlungsgrundsätze umgesetzt wird!Vier Jahre sind seit der Veröffentlichung der gesundheitsgefährdenden Umstände auf einer Vielzahl der von den Polizeibeamtinnen und -beamten häufig genutzten Berliner Schießanlagen vergangen.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit dem gegen ehemals verantwortliche Behördenleitungen der Berliner Polizei. Viele Zeugen wurden angehört, behördeninterne Schriftstücke und Gutachten ausgewertet, Schießhallen als Tatorte gesichert, die Obduktion eines ehemaligen Schießtrainers durchgeführt und arbeitsmedizinische Untersuchungen der Geschädigten veranlasst. Bislang führten diese Maßnahmen offenbar zu keinem eindeutigen Ergebnis, dass die Anklageerhebung oder Einstellung der Verfahren zuließe. Wenngleich wir uns eindeutig gegen eine Vorverurteilung der Personen, gegen die die Ermittlungen gerichtet sind, ausssprechen wollen, hinterließen die Ernennungen von Margarete Koppers zur Generalstaatsanwältin in Berlin im September 2018 und Klaus Kandt zum Innenstaatssekretär des Landes Brandenburg im November 2019 bei den geschädigten Polizeidienstkräften, aber auch vielen anderen interessierten Bürgern dieser Stadt, ein „Geschmäckle“.

Nach Bekanntwerden der Schießstandaffäre zeigten rund 400 Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte ihre Gesundheitsstörungen als Dienstunfälle an. Viele konnten ihre zum Teil vor Jahren aufgetretenen Krankheitssymptome bis dahin nicht erklären und erst durch zielgerichtete Untersuchungen im Zusammenhang mit möglichen Schwermetallvergiftungen ihrer Tätigkeit auf den Schießständen zuordnen. Seit ebenfalls fast vier Jahren blieben diese Dienstunfallanzeigen überwiegend unbeschieden. Die zuständige Verwaltung wartete zunächst auf das Ergebnis der sogenannten „SchießExpoBerlin“, einer speziellen Studie der Charité, die bereits von dem ehemaligen Innensenator Frank Henkel (CDU) initiiert worden war. Diese wurde im Januar 2019 vorgestellt und konnte aufgrund ihres Designs keine Aussage darüber treffen, inwieweit Zusammenhänge zwischen der Nutzung alter Schießstände, veralteter Munition und eingetretener Gesundheitsstörungen existieren.

Als aufmerksame, nach Studium unzähliger medizinischer und wissenschaftlicher Schriften fachkundige Interessenvertreter hatten wir bereits frühzeitig die Untauglichkeit dieser Studie offen kommuniziert und unter anderem mit einer Petition Veränderungen bei der Durchführung gefordert.
Am 11.11.2019 wurde über einen angezeigten Dienstunfall vor dem Berliner Verwaltungsgericht verhandelt. Und zwar nicht, weil die Behörde sich etwa zu einer Ablehnung durchgerungen und der von der Entscheidung betroffene Polizeibeamte damit unzufrieden gewesen wäre, sondern weil der vermeintlich Geschädigte selbst mit einer Untätigkeitsklage gegen die jahrelange Verschleppung des Verfahrens aufbegehrte.

Siehe auch Wissenswertes aus dem Gerichtssaal – Teil 2, zum Bericht klicken Sie bitte hier.

Die Klage auf Anerkennung eines Dienstunfalls gemäß Paragraf 31 (3) Landesbeamtenversorgungsgesetz (vorliegen einer Berufskrankheit, „Erkrankungen durch Blei oder seiner Verbindungen“) wurde letztendlich aufgrund nicht eingehaltender Fristen bei der Anzeige des Dienstunfalles abgewiesen. Dies muss bei Betrachtung des Gesetzestextes nicht überraschen. Überraschen darf vielmehr, dass die beklagte Polizeibehörde sich als Sieger eines solchen Prozesses fühlt, den ein schwer kranker, über viele Jahre loyal dienender Beamter anstrengen musste, um die Fürsorge zu erlangen, die ihm durch die Missachtung arbeitsschutzrechtlicher Vorschriften in seiner aktiven Zeit über Jahre verwehrt blieb.

Vier Jahre seit dem Bekanntwerden der gesundheitsgefährdenden Umstände, fast ein Jahr seit der praktischen Umsetzung des Ausgleichfonds Schießanlagen und der offiziellen Vorstellung der Ergebnisse der „SchießExpoBerlin“ im Januar 2019 sind vergangen, in denen den betroffenen Dienstkräften die Aussagen des Innensenators, der Berliner Senat würde zu seiner Verantwortung stehen und die Mitarbeitenden in ihrer Betroffenheit unterstützen, in der Praxis ad absurdum geführt wird.

Vielfach wurden über das gesamte Jahr 2019 konstruktive Gespräche mit politischen und behördlichen Verantwortlichen geführt, in denen ausbleibendes oder fehlerhaftes Handeln sachlich und nachvollziehbar kritisiert und korrigierende Maßnahmen gefordert wurden. Und dabei ging es zunächst einmal nicht um eine Erhöhung von Ausgleichzahlungen, sondern um die gebotenen Korrekturen begangener Fehler und die Schaffung nachvollziehbarer Grundlagen für die weitere, notwendige Aufarbeitung.

Innensenator Geisel zeigte sich bei einem Gespräch im Februar 2019 nahezu resistent gegenüber jeglicher Form konstruktiver Kritik an der Umsetzung des Fürsorgefonds, gab sich nach dieser einmaligen unmittelbaren Kommunikation mit den betroffenen Dienstkräften alles andere als fürsorglich, offen und bereit, sich der begründeten Unzufriedenheit seiner Beamtinnen und Beamten anzunehmen. Bei zufälligen Treffen im Abgeordnetenhaus oder öffentlichen Veranstaltungen hatten allenfalls die Personenschützer des Innensenators ein Augenmerk für die im B.I.S.S. e.V. organisierten Interessenvertreter.

Sowohl bei der Beantwortung Schriftlicher Anfragen von Oppositionspolitikern als auch Mitteilungen an das Abgeordnetenhaus und Statements in den Medien war von verantwortungsbewusster Zuwendung zu den Dienstkräften als auch ernsthaft angestrebter Problemlösung nichts zu erkennen. Den beispiellosen Gipfel mangelnder Handlungsbereitschaft und Wertschätzung offenbarte die von Herrn Geisel geführte Innenverwaltung in einem Vermerk aus dem Februar 2019, in dem den Interessenvertretern unterstellt wird, die Sinnhaftigkeit des Ausgleichsfond mit falschen Informationen hinterfragen zu wollen. Gleichzeitig werden diese Interessenvertreter von der ehemaligen Vorsitzenden der Bewertungskommission Ausgleichsfond, Frau Monika Paulat, unter anderem als militant bezeichnet.

Innensenator Andreas Geisel zeichnete diesen Vermerk ab!

Nicht nur die Interessenvertreter werden darin diskreditiert. Durch die Formulierungen zum Umgang mit entsprechenden Anfragen und Anträgen wird verdeutlicht, dass keine wirklichen Lösungen in Problemfällen angestrebt, sondern die betroffenen Dienstkräfte schnell und unbürokratisch abgekanzelt oder auf die lange Bank geschoben werden sollen.

Bereits im März 2019 wandten sich die Betroffenen an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller. Ihm wurden unter anderem die Probleme bei der Aufarbeitung der Schießstandaffäre erläutert und an sein koordinierendes und korrigierendes Eingreifen als Regierungschef appeliert. Vor allem aber wurde um ein persönliches Gespräch ersucht. Die Antworten aus der Senatskanzlei spiegelten leider die immer wieder auch von Herrn Geisel schriftlich und mündlich kommunizierten Einschätzungen wieder, die auf ihre Richtigkeit offenbar nie überprüft wurden. Dem Wunsch, einen persönlichen Termin mit dem Regierenden Bürgermeister zu bekommen, wurde bislang noch immer nicht entsprochen. Erst für den 22.01.2020 wurde dieser nunmehr vereinbart. Er soll zusammen mit dem Innensenator stattfinden. Inwieweit zu diesem Zeitpunkt noch zielgerichtet auf die derzeit bestehenden Probleme eingewirkt werden kann, muss abgewartet werden.

Gespräche mit den innenpolitischen Sprechern der Regierungsfraktionen verliefen grundsätzlich offen, vertrauensvoll und konstruktiv. Leider wurden auch von dieser Seite bislang keine konkreten Maßnahmen initiiert, die eine baldige Korrektur fehlerhafter Bewertungen des Entscheidungsgremiums Ausgleichfond auch nur erahnen lassen, noch Hoffnung auf eine zeitnahe, derzeit diskutierte Änderung des Dienstunfallrechts machen. Die Einstellung von Geldmitteln in Höhe von 500.000€ in den Haushalt für 2020, von denen im Moment die Rede ist, um Nachbesserungen bei den Ausgleichszahlungen zu realisieren, erscheint deutlich zu gering, als dass eine gerechte Verteilung unter anderem an bislang unberücksichtige Beamtinnen und Beamte, aber auch Angestellte und Arbeiter, erfolgen könnte.

Auch im „eigenen Hause“, bei der Berliner Polizei, dürfte das Engagement für die von der Schießstandaffäre betroffenen Dienstkräfte nach unserem Dafürhalten gerne etwas intensiver sein. Vertreter von B.I.S.S. e.V. sind regelmäßige Gesprächspartner der Polizeipräsidentin Slowik und präsent auf verschiedenen Veranstaltungen der Berliner Polizei. Und obgleich nicht nur wir, sondern vor allem auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) zur Durchführung einer sogenannten „Pulverdampfanalyse“ wiederholt aufgefordert haben, damit auf der Grundlage der dabei festgestellten Bestandsteile Erkrankte unter anderem therapeutische Gesundheitsmaßnahmen treffen können, wurde eine solche bislang unerklärlicherweise nicht durchgeführt. Die Kosten für diese Analyse dürften hierbei wohl keine Rolle spielen. Ebensowenig ist es zutreffend, dass die früher verwendete, immer wieder in Rede stehende SINOXID-Munition nicht mehr für ein entsprechendes Verfahren verfügbar ist.

Bei den Vertretern von B.I.S.S. e.V. und damit einer Vielzahl von der Schießstandaffäre betroffener Mitarbeitender der Berliner Polizei handelt es sich mitnichten um eine „überschaubare Gruppe hochgradig Unzufriedener“, die die Entscheidungen der Bewertungskommission nicht akzeptieren können, wie Frau Paulat in dem oben genannten Vermerk zitiert wird. Es handelt sich in erster Linie um ehemalige oder aktive Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, die ihren Dienst für dieses Land und seine Bürger über viele Jahre nach Recht und Gesetz geleistet haben oder immer noch leisten. Der tägliche Dienst erforderte im Umgang mit Bürgerinnen und Bürgern ein hohes Maß an Verantwortung, Objektivität und Gerechtigkeit, aber auch die nötige Entschlossenheit, gegen erkanntes Unrecht vorzugehen.

Es wäre blauäugig zu erwarten, dass diese Beamtinnen und Beamten einen verantwortungslosen, subjektiven, ungerechten Umgang mit sich selbst stillschweigend hinnehmen und erkannte Rechtsverstöße billigen würden.

Dies nicht zu tun, dazu rief bereits Dr. Gustav Walter Heinmann auf.

 

 

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