Demütigung tut gut, denn aus Wut wird Mut

„Demütigung ist die den Selbstwert, die Würde und den Stolz angreifende beschämende und verächtliche Behandlung eines Anderen. Auch ein mit dem Gefühl des Scheiterns oder einer Niederlage verbundener Misserfolg wird oft als Demütigung aufgefasst.“

So führt es Wikipedia aus.

Im Zusammenhang mit der Schießstandaffäre bei der Berliner Polizei fühlen sich viele betroffene Dienstkräfte gedemütigt, denn obwohl die gesundheitsschädigend wirkenden Umstände auf den Schießständen der Berliner Polizei belegt und auch von politisch Verantwortlichen weitestgehend anerkannt sind, muss um jede wichtige Information aus der Verwaltung und der Polizeibehörde und jeden kleinen Erfolg in der Aufarbeitung weiterhin zäh gerungen werden.
Dabei erscheinen Aussagen, wie die des Innensenators Andreas Geisel aus einer Pressemitteilung vom 30.05.2018, längst nicht mehr den Tatsachen zu entsprechen:

„Wir stehen hinter den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und haben ihnen unsere Hilfe und volle Unterstützung zugesagt.“

Wesentlicher Streitpunkt zwischen den betroffenen Beamtinnen und Beamten und vor allem den Vertretern der Senatsverwaltung für Inneres ist auch fast ein Jahr nach den Auszahlungen von Entschädigungsleistungen aus dem Fürsorgefond die erkennbar fehlerhafte praktische Umsetzung des regelnden Erlasses.

Die Gründe für die Schaffung des Fürsorgefonds Schießstätten sind häufig genannt worden und daher als hinreichend bekannt anzusehen.

Die nachfolgenden Verlautbarungen lassen sich aus den Antworten verschiedener schriftlicher Anfragen und dem Protokoll einer Innenausschusssitzung vom 21.01.2019 herleiten.
Gemäß Antwort auf die schriftliche Anfrage des Abgeordneten Luthe vom 17.01.2019 (Drucksache 18 /17 544) gab es in der Schießstandaffäre einen potenziell betroffenen Personenkreis von insgesamt 1.532 sowohl aktiven als auch bereits pensionierten Dienstkräften. Berücksichtigt wurde dabei der Zeitraum zwischen 1996 und 2016.

Diese Dienstkräfte wurden von der Polizeibehörde über die Möglichkeit informiert, einen Antrag auf Leistungen aus dem Fürsorgefond stellen zu können. Warum diejenigen, die bis zum Jahr 1996 ihren Dienst auf den schon zu diesem Zeitpunkt den Vorschriften des Gesundheitsschutzes nicht entsprechenden Schießanlagen ihren Dienst versehen haben, nicht als potenziell Geschädigte angesehen werden und nicht angeschrieben wurden, ist keiner bekannten Informationsquelle zu entnehmen.

Von 1532 potenziell betroffenen Dienstkräften stellten 786 einen Antrag auf Auszahlung aus dem Fürsorgefond.

Für die Bewertung der Anträge wurde von Innensenator Geisel eine Bewertungskommission eingesetzt, die aus der ehemaligen Sozialrichterin Monika Paulat, dem Arbeitsmediziner Prof. Dr. Hallier und der Leitenden Betriebsärztin Dr. Sabine Griebel bestand. Diese Kommission wurde unmittelbar nach Bewertung der 786 Anträge aufgelöst, obwohl der Erlass in Ziffer 6.6 explizit darauf hinweist, dass bei veränderter Sachlage über einen fristgerecht gestellten Antrag erneut entschieden werden kann. Der Erlass ist bis zum 31.12.2019 in Kraft.

Nach einer Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Inneres vom 30.05.2018 entschied die Bewertungskommission frei und unabhängig über die Höhe der Einmalzahlungen. Sie war zweifellos an die Vorgaben des Erlasses zum Ausgleichsfond Schießanlagen vom 18. April 2018 gebunden. Dies bestätigte die Kommissionsvorsitzende Paulat in der Innenausschusssitzung am 21.01.2019, in der sie auf den Erlass verwies, der auf einem Auflagenbeschluss des Abgeordnetenhauses zum Haushalt 2018/2019 vom 15. November 2017 beruht.

Dass im Erlass vorgegebene Antragsfristen in Absprache mit Innensenator Geisel zum Wohle der betroffenen Dienstkräfte „aufgeweicht“ wurden, erklärte Frau Paulat ebenfalls in besagter Ausschusssitzung. Darüber hinaus gab sie an, dass Akutbeschwerden berücksichtigt wurden, für die die Betroffenen keine medizinischen Nachweise erbringen konnten, und dass auch dieses Abweichen von den Vorschriften des Erlasses abgesprochen war – mit der Innenverwaltung, wie man hier vermuten muss.

Für diejenigen Antragsteller, die diese Akutbeschwerden nicht in ihrem Antrag erwähnt hatten, weil sie für eine Ausgleichszahlung nach dem Wortlaut des Erlasses nicht relevant waren, stellt dies eine eindeutige Benachteiligung dar. Es ist im Kontext mit den Ausführungen des Prof. Dr. Hallier, der angab, dass es nach Inaugenscheinnahme der Schießstände und bei den Gegebenheiten, die die Kommissionsmitglieder dort vorfanden, durchaus plausibel ist, dass Akutbeschwerden aufgetreten sind, nicht nachvollziehbar, warum derartige kurzfristige Gesundheitsstörungen nicht generell für alle oben genannten Dienstkräfte anzunehmen waren und damit eine grundsätzliche Entschädigung für die erfahrenen Belastungen geleistet wurde.

Wiederholt wurde von den Betroffenen auf die Nichtbeachtung eines wesentlichen Aspekts für die Höhe der Ausgleichszahlung hingewiesen: die Dauer der Verwendung auf den entsprechenden Schießständen. Obwohl dieser mehrmals auch von Innensenator Geisel als besonders relevant bezeichnet wurde – unter anderem in der Mitteilung des Senats an das Abgeordnetenhaus vom 05.02.2019 – ist die Verwendungsdauer von der Bewertungskommission nicht berücksichtigt worden.
Von 786 bearbeiteten Anträgen wurden 297 negativ und 489 positiv beschieden. In 467 Fällen (davon 328 mal 3000.- Euro) wurden Ausgleichszahlungen in Höhe von maximal 10.000.- Euro geleistet. In 22 Fällen erhielten die betroffenen Dienstkräfte in Fällen schwerster Erkrankungen zwischen 30000.- und 80000.- (1 mal) Euro.

Die Ablehnung ihrer Anträge hat viele betroffene Dienstkräfte nach all den Mitleidsbekundungen und Unterstützungszusagen der Politik und Behördenleitung überrascht und verärgert. Entschädigungsleistungen in Höhe von 3000.-€ empfanden die Mitarbeitenden nach zum Teil jahrzehntelangen erheblichen Belastungen mit toxischen Substanzen und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass weder Behördenleitung noch Politik auf Erkenntnisse über mögliche Gesundheitsgefahren reagiert hatten, als unangemessen.

Nachfragen der Betroffenen in mündlicher und schriftlicher Form verschlossen sich die Senatsinnenverwaltung – einschließlich des Innensenators persönlich – und die Polizeibehörde (Geschäftsstelle Fürsorgefond) komplett.

Dabei erklärte Innensenator Geisel bei der Innenausschusssitzung im Januar 2019 verheißungsvoll:

„Die Aussage: Strich drunter, alles erledigt! – soll das Ende der Arbeit der Bewertungskommission ganz ausdrücklich nicht sein. Wir stehen zu unserer Verantwortung und werden das auch in Zukunft tun.“

Diesen Worten folgten die dringend notwendigen Taten leider nicht!

Nicht nur den betroffenen Dienstkräften wurden Antworten zu Fragen fehlerhafter Bewertungen – und erst recht Korrekturen – verweigert, auch dem FDP-Abgeordneten Luthe erklärte man auf dessen schriftliche Anfrage, dass sich der Senat aufgrund der der Bewertungskommission eingeräumten Unabhängigkeit nicht veranlasst sieht, von dieser weitergehende Erläuterungen für ihre Entscheidungen zu erbitten.
In einer schriftlichen Stellungnahme erklärt die ehemalige Vorsitzende der Bewertungskommission, Frau Paulat, sich bei Fragen, die den Entscheidungsprozess und die von der Kommission getroffenen inhaltlichen Entscheidungen selbst berühren, auf die Unabhängigkeit und die Entscheidungsfreiheit der Kommission zu berufen.

Damit verhindert der Berliner Senat, unter Berufung auf die zumindest für die betroffenen Dienstkräfte fragwürdigen Ansichten der Bewertungskommission und ihrer Vorsitzenden, eine konstruktive Auseinandersetzung mit erkennbaren Fehlern bei der Einzelfallbewertung und daraus folgend eine Korrektur defizitärer Entscheidungen.

Verantwortungsübernahme, in diesem Fall für nachweislich fehlerhafte Entscheidungen, sieht anders aus.

So bleibt es dabei, dass knapp 38 Prozent der Antragsteller trotz jahre- bzw. jahrzehntelanger Zugehörigkeit zu Dienststellen, bei denen sie einer regelmäßigen und vermeidbaren Exposition mit gesundheitsschädigenden Substanzen ausgesetzt waren, keine Ausgleichszahlung aus dem Fürsorgefond erhalten.

67 Prozent der Entschädigten erhielten für ihre akuten Gesundheitsstörungen während des Schießtrainings eine Ausgleichszahlung in Höhe von 3000.-€.

Über 28 Prozent der berücksichtigten Antragsteller erhielten für ihre nachgewiesenen Erkrankungen insbesondere der Lungen eine Entschädigungsleistung von 7500.- oder 10000.-€
11790.-€ Aufwandsentschädigung!

Sie erhielt damit für eine zeitlich befristete, für drei Sitzungstage der Kommission belegte, dazu noch fehlerhafte Arbeit höhere Zuwendungen des Berliner Senats, als 95 % der von der Schießstandaffäre unmittelbar betroffenen Mitarbeitenden!

Das ist würdelos und demütigend!

Jeweils 7860.-€ erhielten im übrigen die beiden Mediziner Herr Prof. Dr. Hallier und Frau Dr. Griebel, wie aus der Antwort einer entsprechenden Anfrage hervor geht. Auch diese beiden Mitglieder der Bewertungskommission wurden deutlich besser als die Mehrheit der betroffenen Dienstkräfte allein für ihren Aufwand „entschädigt“.

„Demütigung tut gut, denn aus Wut wird Mut!“

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