Wir berichteten bereits über den Änderungsantrag zum Landebeamtenversorgungsgesetz, mit dem die Einführung einer sogenannten Beweislastumkehr im Dienstunfallrecht erfolgen soll.

21.08.19 Die Last des Beweises umkehren! Zum Artikel klicken Sie bitte hier!

15.09.19 Zeit, dass sich was ändert! Zum Artikel klicken Sie bitte hier!

Die Beweislastumkehr ist eine Ausnahme von dem rechtlichen Grundsatz, dass grundsätzlich jede Partei die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen der ihr günstigen Rechtsnorm trägt.

Nunmehr hat die Senatsverwaltung für Finanzen zu dem Änderungsantrag der CDU-Fraktion Stellung genommen und diesen abgelehnt. Wir haben uns die Begründung sehr genau angesehen und die Innenpolitiker aller Fraktionen bereits über unsere Meinung zu einzelnen Passagen informiert. Wie gewohnt fällt unsere Betrachtung sachlich, aber begründet kritisch aus.

Im Einzelnen führten wir aus:

Senatsverwaltung für Finanzen:

„Nach § 31 Absatz 1 Satz L BeamtVG…“

B.I.S.S. e.V.:

Es ist bezeichnend, dass die Legaldefinition des Dienstunfalls unvollständig zitiert wird. Es sollte der Vollständigkeit halber auch der Absatz 3 Beachtung finden, weil dieser dem Änderungsvorschlag eher im Kontext steht als der Absatz 1, Satz 1.

Senatsverwaltung für Finanzen:

„…beinhaltet den tragenden Grundsatz des Dienstunfallrechts der sachgerechten Risikoverteilung…in Schadensfällen. Der Dienstherr soll für die typischerweise mit dem Dienst verbundenen Risiken und für die mit diesem im zusammenhängenden Unfallursachen einstehen…“

B.I.S.S. e.V.:

Die Darstellung der de lege lata läuft hier ins Leere, weil der tragende Grundsatz des Beamtenrechts vorangestellt werden muss, nämlich die Verpflichtung des Dienstherrn, alle in seinen Möglichkeiten obliegenden Fürsorgemaßnahmen zu treffen und dafür Sorge zu tragen, dass fürsorgliche Einrichtungen ordnungsgemäß betrieben werden und sämtliche gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsschutzbestimmungen eingehalten werden. (Fürsorgepflicht als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums). Wenn aber eben diese Vorsorgeleistung nicht erbracht wird, kann es für den Beamten keine Eigenrisikoverantwortung geben, da er darauf vertrauen darf, ja sogar muss, dass sein Dienstherr die ihm obliegenden Pflichten erfüllt.

Senatsverwaltung für Finanzen:

„Es kommt im Dienstunfallfürsorgerecht ausschließlich darauf an, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen einem Unfallereignis und einem eingetretenen Körperschaden besteht.“

B.I.S.S. e.V.:

Die Darstellung der de lege lata ist hinreichend bekannt. Wird es im Rahmen einer Anpassung des veralteten Dienstunfallrechts nicht endlich Zeit, das Recht der tatsächlichen Praxis anzugleichen und als zukünftig notwendiges Recht Wirklichkeit werden zu lassen?

Auch in der Begründung der CDU- Fraktion zum Gesetzesentwurf wird auf die angepasste Gesetzeslage des BGB hingewiesen (§ 630h, 477 BGB). Warum soll das Beamtenrecht – wieder mal – hinten anstehen und weiterhin eine Ausschließlichkeit im „Fürsorgerecht“ aufrecht erhalten werden, selbst wenn der Dienstherr seine Pflichten nicht erfüllt?

Senatsverwaltung für Finanzen:

„Der mit der Einfügung des Absatzes 3a in das LBeamtVG von der Fraktion der CDU angestrebte Verzicht auf den Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen Erkrankung und Dienst für alle Fälle einer Verletzung von Vorschriften, die zum Schutz vor Gefahren für die körperliche Unversehrtheit an dem Ort des regelmäßigen dienstlichen Aufenthaltes erlassen wurden, steht dem Wesen der Unfallfürsorge entgegen.“

B.I.S.S. e.V.:

Nur nach abenteuerlicher Interpretation stimmt diese Aussage. Aber sie entspricht nicht mehr den tatsächlichen Gegebenheiten. So wie die Diätenanpassung der Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses den tatsächlich Arbeitsaufwand widerspiegelt, sollte hier das Verantwortungsprinzip der tatsächlich existierenden Praxis angepasst werden. Die Verantwortung zum Arbeitsschutz muss auch im Dienstunfallrecht Berücksichtigung finden. Im genannten Beispiel der Schießstätten sollte Beachtung finden, dass schon im Jahre 2005 der amtierende Polizeipräsident auf Missstände hingewiesen hat, Reaktionen zum Schutze der Nutzer dieser Schiessstätten erst viele Jahre später erfolgten. Wie sollen die Betroffenen – ohne gewusst zu haben, dass sie vergiftet wurden – der Kausalitätsprüfung eines veralteten Rechts nachkommen? Sollte nicht hier ein Verursacherprinzip greifen, was dem gesamten deutschen Recht zugrunde liegt? Wer eine Gefahr verursacht, hat für den Schaden aufzukommen.

Des Weiteren verzichtet die beabsichtigte Gesetzesänderung nicht völlig auf einen Zusammenhang zwischen Erkrankung und Dienstverrichtung; es muss hier jedoch die Vermutung ausreichen.

Senatsverwaltung für Finanzen:

„Im Übrigen konkretisieren die Unfallfürsorgevorschriften die allgemeine Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Deshalb können aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Dienstherrn grundsätzlich keine Ansprüche auf Unfallfürsorge abgeleitet werden.“

B.I.S.S. e.V.:

Die im Verfassungsrang stehende Fürsorgepflicht soll den Beamten schützen, ihn vor Schaden bewahren. Verletzungen eben dieser Fürsorgepflicht lösen grundsätzlich keine Ansprüche auf Unfallfürsorge aus? Selbst wenn der Dienstherr vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen rechtliche Bestimmungen des Arbeitsschutzes verstößt? Wenn sich diese Rechtsauffassung durchsetzt, erhalten alle der Fürsorge verpflichteten Vorgesetzten und auch der Dienstherr einen Freibrief, gegen den hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums – Fürsorge – sanktionslos zu verstoßen; wozu dann noch diese Pflichtenseite für den Dienstherrn?

Unverständlich ist der erste Satz deswegen, weil der Begriff „Unfallfürsorgevorschriften“ ausschließlich die beamtenrechtlichen Fürsorgevorschriften umfasst. Seit Jahren bestimmt eine veränderte Gesetzeslage jedoch auch die Beamtenwelt, nämlich das Arbeitsschutzrecht. Zur allgemeinen Fürsorgepflicht des Dienstherrn gehört natürlich die Beachtung des gesetzlichen Arbeitsschutzes, wie es sich für die Beamten als Pflicht ergibt, sich auch dementsprechend zu verhalten. Auch hier wird wieder nur altes Recht zitiert. Zu dem immer wieder erwähnten Kommentar zum Dienstunfallrecht ist nur so viel zu sagen, dass dieser natürlich die de lege lata beschreibt. Der Berliner Gesetzgeber hat aber die Möglichkeit, ähnlich wie beim Mieterschutzrecht, offensive Pionierarbeit zum Schutz von Bürgerinnen und Bürger, denn auch das sind Beamte, zu leisten.

Senatsverwaltung für Finanzen:

„Die mit der beabsichtigten Gesetzesänderung verbundene Besserstellung von Beamten im Vergleich zu Angestellten des öffentlichen Dienstes oder sonstigen Arbeitnehmern ist nicht sachgerecht.“

B.I.S.S. e.V.:

Dass die beabsichtigte Gesetzesänderung eine Besserstellung für Beamte darstellt ist eine unhaltbare, ja fast schon populistische Aussage. So würde es zu einer unmoralischen Neiddiskussion kommen. Für Angestellte und andere Arbeitnehmer treten die Berufsgenossenschaften ein. Diese gibt es für Beamte nicht. Es ist hier eine unerträgliche Politisierung zum Nachteil der immer wieder beneideten Beamten; denen es ja so herausragend gut geht.

Arbeitsschutz spielt aber außerhalb des Arbeitsbereiches „öffentlicher Dienst“ inzwischen aber eine herausragende Rolle. Hier finden Kontrollen der Berufsgenossenschaften statt. Betriebe, die dem Arbeitsschutz nicht nachkommen, werden sanktioniert oder geschlossen. Wer aber überwacht den öffentlichen Arbeitgeber? Wie beredte Beispiele zeigen: niemand.

Senatsverwaltung für Finanzen:

„Im Rahmen der Besprechung des Arbeitskreises für Versorgungsfragen vom 23. – 25. 10.2018 in Berlin wurde unter TOP 8 zur Frage, ob eine Öffnungsklausel im Hinblick auf die absolute Ausschlussfrist gem. § 45 Absatz 2 LBeamtVG notwendig ist, länderübergreifend beschlossen, dass keine Notwendig besteht, die geltenden, sachgerechten Ausschlussfristen der Unfallfürsorge zu verändern.“

B.I.S.S. e.V.:

Der Arbeitskreis stimmt selbst über Pflichten ab, die ihm dann als fiskalischer Arbeitgeber auferlegt würden?

Dieser Beschluss geht an der tatsächlichen Realität vorbei. Es gibt Unfälle, die durch Missachtung des Arbeitsschutzes eingetreten sind. Wie schon erwähnt, wurde in Berlin jahrelang dieser Umstand verschwiegen. Hier waren die Betroffenen gar nicht in der Lage bestehende oder erst später eintretende Krankheiten in Zusammenhang mit z.B. erlittenen Vergiftungen zu bringen. Es ist hinreichend wissenschaftlich belegt, dass zum Beispiel Blei eine unabsehbare schädigende Langzeitwirkung hat. Wie kann ein Arbeitskreis für Versorgungsfragen zu so einem Beschluss kommen und dann noch kühn behaupten, das sei sachgerecht? Hier können nur Haushälter entschieden haben, jedoch keine den wissenschaftlichen Beweisen nachkommenden fürsorglichen Gremien.

Wenn die Entscheidungsträger der Berliner Legislative sich von alten, der wirklichen Praxis widersprechenden rechtlichen Gegebenheiten leiten lassen, wird sich hier nur eines verändern: Die Stimmung der Betroffenen.

Es scheint auch immer wieder durch, dass gerade die Beamten so herausragend versorgt sind, dass es seinesgleichen sucht. Dann bitte treten sie doch den Beweis an. Aber Vergleiche passen dann nur, wenn sie der selben Qualifikation, dem selben Risiko, dem selben monatlichen Einkommen und letztendlich vor allem der verfassungsmäßigen Stellung der Beamtinnen und Beamten entsprechen. Denn diese Polizeivollzugskräfte haben den gesteigerten Anforderungen an ihren Beruf – § 101 LBG Berlin – nachzukommen.

Der Berliner Gesetzgeber hat es in der Hand, eine Gesetzeslage zu schaffen, die tatsächlichen Gegebenheiten entspricht, Fürsorge nicht als sanktionslose Worthülse stehen lässt und den Beamtinnen und Beamten in Berlin und deren Angehörigen eine seit Jahren vermisste Wertschätzung, in Form einer ethisch verantwortlichen Unfallfürsorge, zukommen lässt.

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